Von Lissabon nach Santiago de Compostela
Tagebucheintrag 24. Mai 2007
Habe heute meine grünen Shorts angezogen, anstatt die roten von gestern. Von Bullen war aber keine Spur. Nicht mal von schönen Wiesen war die Spur. Den ganzen morgen bin ich durch Industriegelände und entlang großer Straßen gelaufen. Der Verkehr war lebensgefährlich; die Härte und Hitze des Asphalts, die Abgase der Autos und der ohrenbetäubende Lärm, machten die Wanderung wenig angenehm. Somit war die Versuchung groß, als ich an einem Friedhof vorbeikam, dort reinzugehen, um Ruhe zu finden. Bin der Versuchung aber nicht nachgegangen, da ich nicht mehr weit von Azambuja war.
Bin jetzt in Azambuja. Hier herrscht Feststimmung. Die 4-tägige traditionelle Feira de Maio fängt heute Abend an. Letzte Vorbereitungen und Vorkehrungen werden gemacht. Männer und Frauen mit Schaufeln verteilen den vielen Sand der von großen Maschinen in die Innenstadt gebracht wurde; Häuser und Läden wurden mit großen Holz-Barrikaden geschützt; denn heute Abend werden die Stiere losgelassen! Stiere und Menschen werden wild durch die Straßen laufen. Die Lautsprecher sind schon kräftig in Betrieb. In der ganzen Stadt hört man Folkloremusik, Fado und spanische Volksmusik. Leider ist alles geschlossen, deswegen kann ich wieder nicht ins Internet. Esse gerade eine Suppe (Sopa de Grão). Habe mich entschlossen weiterzugehen. Es ist 12:30 Uhr.
Bin in Santarém. Um 22 Uhr angekommen. Halbtot! Nun ist meine Vermutung sicher: die angegebenen Kilometerzahlen im Buch stimmen nicht!!!! Laut Berechnung nach Zeit, muss ich mindestens 60 Km gelaufen sein! Ich bin dem Buch und den Wegweisern gefolgt. Der Wirt hat mir soeben bestätigt, dass ich einen wahnsinnigen Umweg gemacht habe. Wunder...wunderschön aber sehr, sehr weit! Die angegebene Kilometer entsprechen der Entfernung, wenn man der Nationalstraße folgt. Jeder Zeit würde ich lieber einen hübschen Umweg gehen, der doppelt so lang ist, anstatt die tödliche und langweilige Hauptstrasse entlang zu laufen, wo man auch noch das Hupen der Autos ertragen muss. Die richtige Kilometerzahl muss aber angegeben sein! Morgen kaufe ich mir eine Landkarte! Ein Wunder, dass ich nur 2 Blasen habe (Dank sei den Apothekerinnen!).
Ab Azambuja war es wirklich ein wunderschöner Weg! Es scheint das Wein- und Tomatenland zu sein. Überall sah man große Tomatenfelder. In dem kleinen Ort Reguengo genehmigte ich mir zur Stärkung ein Glas Rotwein. Aufgrund der physischen Anstrengung und des relativ wenigen Essens genügte schon ein Glas, um mich sehr munter zu machen. Das hat mir wahrscheinlich geholfen, optimistisch zu bleiben, als die Wirtin mir sagte es seien noch ca. 30 Km bis Santarém und vorher gäbe es keine Schlafmöglichkeit. Also nichts wie weiter. Am morgen war es teilweise sonnig und warm gewesen, nun strömte der Regen, es blitzte und donnerte. Bald aber kam wieder die Sonne und blieb bis in die Abendstunden. Den ganzen Nachmittag bin ich am Tejo (Fluss der Poeten) entlang gelaufen, konnte ihn jedoch meistens nicht sehen, weil die Menschen aus Schutz gegen Überflutungen einen großen, dicken Erdwall gebaut hatten. Auf meiner linken Seite lagen intensiv bewirtschaftete Felder und herrschaftliche, teilweise verfallene Höfe. Seit Lissabon bin ich an vielen Flüssen und auf den ersten Blick idyllischen Gegenden vorbeigelaufen. Oftmals musste ich aber erkennen, dass die Idylle des Grünen und der Flüsse trügerisch war. Gerne würde ich das Gegenteil schreiben, Tatsache ist aber, dass die meisten Flüsse verdreckt und vergiftet sind. Das Grüne vermag es bloß manchmal zu verdecken. Auch die unkrautfreien Tomatenfelder machten mich traurig. Es ist wirklich schmerzhaft mit all dem Dreck und den vielen Straßen (für unsere Bequemlichkeit) konfrontiert zu werden. Gleichzeitig ist es wohltuend zu sehen, wie viel Schönes es noch gibt; erstens, um sich freuen zu können; zweitens, um nicht die Hoffnung zu verlieren. Denn ohne Hoffnung ist es fast unmöglich, tatkräftig zu werden. Mehr Menschen sollten wandern! Für den Körper gibt es ein nicht zu überschätzendes Wohlgefühl; für den Geist ist es erholsam; und es sensibilisiert für den Umweltschutz.
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