Zweimal Lobo Antunes
Peter Koj rezensiert zwei Neuerscheinungen von António Lobo Antunes
Der rastlosen Übersetzertätigkeit von Maralde Meyer-Minnemann verdanken wir zwei Neuerscheinungen des genialen portugiesischen Schriftstellers auf dem deutschen Buchmarkt. Und beide Male handelt es sich um Bücher, die auch demjenigen zugänglich sind, der sich mit Antunes' Romanen schwer tut, die in der radikalen Auflösung herkömmlicher Erzählstrukturen nicht Jedermanns Sache sind.
Zu dem Buch der Chroniken, das wir in der letzten Literaturbeilage (Portugal-Post 37) unseren Lesern so warm empfohlen haben, ist nun auch die Fortsetzung erschienen: Das zweite Buch der Chroniken. Es handelt sich wiederum um Chroniken, die Lobo Antunes allwöchentlich in der Zeitschrift Visão veröffentlicht hat. Wie schon im ersten Band finden sich hier wahre Kabinettstückchen von bissiger Sozialkritik serviert mit einer gehörigen Dosis schwarzen Humors, wie z.B. Feiertag (S. 154) mit der betrogenen Ehefrau aus wohlhabender Familie, ihrem smarten Ehemann, der von seinen Geschäftsreisen - wie praktisch! - dieselben Geschenke für sie und seine Geliebte mitbringt. Immer wieder überrascht der Autor mit scharfen Beobachtungen, die er häufig in überraschende Bilder und Vergleiche fasst, so wenn der Großvater die Zeitung mit einem "Taubenflügelgeräusch" umblättert (S. 11) oder wenn er das Lächeln einer alten Frau mit einem "Riss in einer verwitterten Mauer" vergleicht (S. 49). Atemberaubend auch der Vergleich "Das Leben ist ein Stapel Teller" und seine Auflösung über die ganze erste Seite der Erzählung Menuett eines Herrn mittleren Alters (S. 77).
Wieder erfahren wir einiges über Portugal und über den Kolonialkrieg, vermehrt auch zu seinem literarischen Schaffen. Im Vergleich zum ersten Band häufen sich jedoch die Chroniken, in denen das Alter und der Tod ein Thema sind. Lobo Antunes spricht mit den Toten, vor allem seinem Freund, dem Schriftsteller José Cardoso Pires. Das Älterwerden ruft vermehrt Erinnerungen an die eigene, meist verklärte Kindheit (Rolle des Großvaters!) hervor. Es verschärft aber auch das Gefühl der Verzweiflung und der Gespaltenheit, so wenn er Kinderfotos von sich betrachtet. Dass sich hier nicht persönliche Depression breit macht, sondern wir tiefe, existenzielle Einblicke in die condition humaine erhalten, hat mit der Formulierungskunst Antunes' zu tun, die sich in ihrer Scharfsichtigkeit und Originalität wohltuend von Chroniken anderer Zeitgenossen unterscheidet.
Das andere Buch, LEBEN, auf Papier beschrieben stellt, wenn man so will, Lobo Antunes' erste schriftstellerische Tat dar und war eigentlich nicht für eine Publikation vorgesehen. Es sind die Briefe, die der junge Militärarzt seiner Frau von seinem Einsatz in Angola (Januar 1971 bis Januar 1973) schrieb. Man kann sich fragen, wieweit diese sehr persönlichen Dokumente überhaupt eine Veröffentlichung verdient haben, und Lobo Antunes hat sich auch von ihr distanziert, indem er sich darauf beruft, dass seine Töchter mit der Veröffentlichung dem testamentarischen Willen der vor einigen Jahren verstorbenen Mutter nachkommen.
Andererseits stellen diese Briefe, die Lobo Antunes fast täglich nach Lissabon schickt, ein einzigartiges Dokument zu dem nach wie vor unbewältigten Kapitel Kolonialkrieg dar. Abgesehen von der schonungslosen Darstellung grauenvoller Details erfahren wir durch sie, wie ein eigentlich kritischer Geist allmählich von der Kriegsmaschinerie aufgefressen und zu einem funktionierenden Rädchen wird. Überraschend, wie der junge Arzt trotz der psychischen und physischen Belastung noch in der Lage ist, an einem Roman zu arbeiten. So schreibt er am 13.3.71: "Gestern ist mir etwas durch den Kopf gegangen, und ich habe mit unglaublicher Leichtigkeit angefangen, eine vollkommen neue Geschichte zu schreiben." Von dieser Geschichte heißt es weiter unten voll Selbstbewusstsein: "Nun ja, ich kann Dir ganz ohne Angst, mich zu irren, versichern, dass ich den besten und revolutionärsten Roman in Händen halte, den ich je gelesen habe." (S. 106) Auch wenn dieser Roman nie veröffentlicht wurde, so entstanden nach seiner Rückkehr eine ganze Reihe von Romanen, die mit ihrer Technik der inneren Stimmen nicht nur den portugiesischen Roman revolutioniert haben, sondern auch europa- und weltweit für ihre innovativen Eigenschaften anerkannt und ausgezeichnet wurden.
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Portugal-Post Nr. 40 / 2007
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António Lobo Antunes: Zweites Buch der Chroniken.
Übers. von Maralde Meyer-Minnemann.
Sammlung Luchterhand 2007, EUR 10,-
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António Lobo Antunes: LEBEN, auf Papier beschrieben.
Briefe aus dem Krieg.
Übers. von Maralde Meyer-Minnemann.
Luchterhand 2007, EUR 24,95
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