Buchtipp des Monats Februar 2015
Von Peter Koj
António Lobo Antunes, Kommission der Tränen
António Lobo Antunes gilt als Portugals innovativster Schriftsteller der Gegenwart. Der vorliegende Roman aus dem Jahre 2011 ist sein 22. Die deutsche Übersetzung durch Maralde Meyer-Minnemann ist Ende letzten Jahres erschienen und Roman 23 ( Não é meia noite quem quiser ), sowie Roman 24 ( Caminho como uma casa em chamas ) liegen schon wieder auf dem Schreibtisch der Hamburger Übersetzerin.
Der Roman Kommission der Tränen führt uns in das postkoloniale Mosambik. Diese Kommission ist eine Institution, die nach der Befreiung von Portugal von der regierenden MPLA geschaffen wurde, um Abweichler vom marxistisch-leninistischen Kurs zu verhören und sie ggf. der Polizei oder dem Militär zu übergeben, was Folter oder sogar den Tod bedeutete. Einer der Kommissionäre ist mit Alice, einer aus Portugal stammenden Weißen, verheiratet. Sie tritt in einem Nachtclub auf, von dessen portugiesischem Betreiber sie eine Tochter hat, Cristina. Als diese fünf Jahre alt ist, zieht die Familie von Luanda nach Lissabon.
Der Roman startet im Lissabon der Gegenwart mit einer Szene in einer psychiatrischen Klinik, in der die inzwischen 40jährige Cristina interniert ist und endet mit dem Freitod des Vaters, der in Erwartung seiner Rächer am südlichen Tejo-Ufer ins Wasser geht. Dazwischen liegt ein bedrückendes Panorama des von Grausamkeiten geprägten Bürgerkriegs in Mosambik. Sicher keine Lektüre für Zartbesaitete. Der Leser ist zudem stark gefordert, da ihm das Geschehen – ähnlich wie in den früheren Romanen – nicht linear von einem allwissenden Erzähler präsentiert wird, sondern sich zusammensetzt aus den Bewusstseins- und Erinnerungsprozessen der Hauptfiguren. Im vorliegenden Roman bietet sich dieses Verfahren insofern besonders an, als es sich überwiegend um die Stimmen handelt, welche die mehr und mehr dem Wahn verfallende Cristina verfolgen. Sie machen den besonderen literarischen Reiz des Werkes aus. Der Wahnsinn der jungen Frau führt zu surrealen Bildern und Formulierungen, die den Roman irgendwo zwischen Eugène Ionesco und Samuel Beckett ansiedeln. Lobo Antunes kann hier seine ganze Kreativität entfalten. Genial, wie er am Ende des Romans „dem Affen Zucker gibt“, als er, ausgelöst durch der Ohrring einer Fahrkartenverkäuferin, ein ganzes erzählerisches Feuerwerk abbrennt.
Maralde Meyer-Minnemann sei Dank für die einfühlsame Übersetzung oder besser gesagt: kreative Übertragung des Originals in das Medium deutsche Sprache. Besonders beeindruckt hat mich, wie es ihr gelingt, die zumeist in umgangssprachlichem Ton stakkatohaft eingeworfenen wörtlichen Redefetzen wiederzugeben. Verdienstvoll auch das angehängte Glossar, das man – soweit man keine Vorkenntnisse des historischen Geschehens hat – vor der Lektüre des Romans, sozusagen als Einführung, studieren sollte.
António Lobo Antunes, Kommission der Tränen . Aus dem Portugiesischen übersetzt von Maralde Meyer-Minnemann. Luchterhand Literaturverlag, München 2014. € 22,99